Die neue eHealth-Strategie Österreichs: Konkrete Chancen, Perspektiven & Empfehlungen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Im Juni 2024 stellte das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die neue eHealth-Strategie (https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/eHealth/eHealth-in-Oesterreich.html ) vor. Mit dieser Strategie werden die Weichen für die digitale Zukunft des Gesundheitswesens in Österreich gestellt. Der digitale Wandel wird notwendig, um auf Herausforderungen wie die alternde Bevölkerung, steigende Gesundheitskosten und den Fachkräftemangel zu reagieren. Verankert im Rahmen der Gesundheitsreform 2023, verfolgt die eHealth-Strategie das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“. Das übergeordnete Ziel ist es, das Gesundheitssystem so zu gestalten, dass digitale Lösungen als erster Zugang zu Gesundheitsinformationen und -diensten dienen und die Versorgung dadurch effizienter, nachhaltiger und für alle Beteiligten einfacher wird.

Die Strategie hat einen Zeithorizont bis 2030 und definiert acht zentrale strategische Ziele, die den digitalen Zugang, die Verbesserung der Telegesundheit, den Ausbau der Telematik-Infrastruktur sowie die Förderung digitaler Kompetenzen und Innovationen umfassen. Diese Maßnahmen betreffen nicht nur Großkliniken und Krankenhäuser, sondern zielen explizit darauf ab, den niedergelassenen Bereich besser zu integrieren und Ihnen als Ärztinnen und Ärzten neue Möglichkeiten und Werkzeuge für die Patientenversorgung an die Hand zu geben.

1. Digitaler Zugang zum Gesundheitssystem

Das erste strategische Ziel ist der digitale Zugang zum Gesundheitssystem. Es soll Ihnen und Ihren Patientinnen und Patienten ermöglichen, das Gesundheitssystem digital zu nutzen. Dies beinhaltet die Bereitstellung eines offenen Zugangs zur öffentlichen Gesundheitstelematik-Infrastruktur (GTI), das ist die technische Basis für den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten. Für Sie als Ärztin oder Arzt bedeutet die GTI insbesondere die Anbindung an die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA), über die Sie medizinische Informationen wie Befunde und Medikationsdaten einsehen können. Durch die GTI können Sie effizient und sicher mit anderen Gesundheitsdiensteanbietern kommunizieren und Informationen austauschen. Zudem wird in der eHealth-Strategie das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ angewendet, um digitale Angebote zu priorisieren und somit den Zugang zu Gesundheitsdiensten zu erleichtern. Ein zentrales Vorhaben ist der Aufbau eines Gesundheitsportals als zentrale Plattform, die einen einheitlichen Zugang zu Gesundheitsinformationen und -diensten bietet. Die Weiterentwicklung der Gesundheitsberatung 1450 ist ebenfalls geplant, um die Inanspruchnahme digitaler Beratungsleistungen zu fördern. Für Ihre Praxis bedeutet dies, dass Sie künftig verstärkt auf digitale Kommunikationswege setzen können. Dies reduziert u.a. Ihren administrativen Aufwand, erleichtert Terminvereinbarungen und Rezeptbestellungen.

2. Telegesundheitliche Präventions- und Versorgungsangebote

Das zweite strategische Ziel fördert die Telegesundheit durch den Ausbau digitaler Präventions- und Versorgungsangebote. Ein telegesundheitliches Versorgungsnetz soll aufgebaut werden, um die Zusammenarbeit von Gesundheitsdiensteanbietern (GDA) zu stärken. Standardisierte Prozesse für Telegesundheit werden entwickelt, um die Integration von Telemedizin in Ihren Praxisalltag zu erleichtern. Flächendeckende telemedizinische Angebote, wie das bereits etablierte Programm Herz Mobil Tirol, sollen ausgebaut werden. Darüber hinaus eröffnen Gesundheitsapps neue Möglichkeiten, Ihre Patientinnen und Patienten aktiv in die Gesundheitsvorsorge einzubeziehen. Dies unterstützt insbesondere die Betreuung chronisch kranker Patientinnen und Patienten und fördert eine proaktive Gesundheitsvorsorge, während gleichzeitig Ihre Praxisorganisation effizienter gestaltet werden kann.

3. Weiterentwicklung der Gesundheitstelematik-Infrastruktur (GTI)

Eine moderne, sichere und umfassend nutzbare GTI ist essenziell für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) spielt dabei eine zentrale Rolle als Kernbestandteil der GTI. Die Anbindung aller relevanten Gesundheitsdiensteanbieter an die GTI und damit an ELGA wird angestrebt, ebenso wie die Einführung einer neuen Architektur und die Umsetzung technischer Standards. Für Ihre Praxis bedeutet dies, dass Sie Ihre Praxissoftware an die erweiterten Funktionen von ELGA anpassen müssen. Die Integration neuer Module wie dem elektronischen Impfpass oder der verbesserten e-Medikation innerhalb von ELGA bietet Ihnen einen vollständigen Überblick über den Impfstatus und die Medikationshistorie Ihrer Patientinnen und Patienten. Die Anpassung an neue technische Standards gewährleistet zudem die Interoperabilität und erleichtert den Datenaustausch zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen.

4. Bereitstellung zentraler eHealth Services

Das vierte strategische Ziel konzentriert sich auf die Bereitstellung zentraler eHealth-Dienste durch den Aufbau einer sektorenübergreifenden Infrastruktur für die öffentliche Gesundheitstelematik-Infrastruktur (GTI). Dies beinhaltet unter anderem die Nutzung der ID Austria für sichere Identifikation und Authentifizierung, was die Sicherheit im Umgang mit sensiblen Daten erheblich erhöht. Darüber hinaus werden Schnittstellen zu anderen E-Government-Bereichen geschaffen. Durch die Vernetzung dieser E-Government-Dienste können administrative Prozesse effizienter gestaltet und der bürokratische Aufwand in Ihrer Praxis reduziert werden, was Ihnen mehr Zeit für die Patientenversorgung ermöglicht.

5. Gesundheitsregister und Datenqualität

Qualitativ hochwertige Daten sind die Basis für gute medizinische Entscheidungen. Die Strategie sieht die Etablierung transparenter und zugänglicher Register zur Verbesserung der Datenqualität vor. Prozesse zur Entscheidung über die Registerführung werden eingeführt, und es wird darauf geachtet, hohe Datenqualität in relevanten Registern sicherzustellen. Für Ihre Praxis bedeutet dies, dass Sie durch sorgfältige Dokumentation und die Mitarbeit bei der Einführung von Registern, wie dem Impfregister, zur Verbesserung der Gesamtdatenlage beitragen können. Dies unterstützt nicht nur Ihre eigene Arbeit, sondern auch das Gesundheitssystem insgesamt, indem es fundierte Entscheidungen auf Basis verlässlicher Daten ermöglicht.

6. Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten

Die Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und Systemsteuerung ist ein wichtiger Aspekt der eHealth-Strategie. Dabei wird großer Wert auf die Einhaltung hoher Datenschutzstandards gelegt. Die Schaffung eines Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetzes soll klare rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Für Ihre Praxis bedeutet dies, dass Ihre anonymisierten Daten wertvolle Beiträge zur medizinischen Forschung leisten können, ohne die Privatsphäre Ihrer Patientinnen und Patienten zu gefährden. Ein Modell für die Sekundärdatennutzung wird implementiert, das es erlaubt, Daten sicher und gesetzeskonform zu nutzen. Dies kann langfristig zu verbesserten Therapieansätzen und Gesundheitsergebnissen führen, von denen sowohl Sie als auch Ihre Patientinnen und Patienten profitieren.

7. Förderung von Innovationen

Innovation ist der Motor des Fortschritts im Gesundheitswesen. Die Strategie zielt darauf ab, günstige Bedingungen und Anreize für Innovationen zu schaffen, insbesondere in Bereichen wie Künstliche Intelligenz (KI) und anderen digitalen Trends. Ein Prozess zur Überprüfung der Effektivität und des Innovationsbedarfs wird aufgebaut, und es werden gemeinsame Standards für digitale Innovationen festgelegt. Für Ihre Praxis bedeutet dies, dass Sie regelmäßig evaluieren sollten, welche digitalen Innovationen – wie etwa KI-basierte Diagnosehilfen, Telemedizin-Plattformen oder Gesundheitsapps – für Sie sinnvoll sind. Indem Sie aktiv an der Entwicklung neuer digitaler Lösungen mitwirken, können Sie sicherstellen, dass diese praxistauglich sind und Ihren Bedürfnissen entsprechen. Dies fördert nicht nur die Effizienz, sondern steigert auch die Attraktivität Ihrer Praxis für Patientinnen und Patienten, die zunehmend digitale Gesundheitsangebote erwarten.

8. Stärkung der digitalen Gesundheitskompetenzen

Digitale Kompetenzen sind der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der eHealth-Strategie und allgemein zur erfolgreichen digitalen Transformation in der Arztpraxis. Die Förderung der digitalen Kompetenzen für Gesundheitsdiensteanbieter sowie Bürgerinnen und Bürger steht im Fokus. Mehrsprachige, einfach zugängliche Informationen werden bereitgestellt, um die digitale Gesundheitskompetenz zu erhöhen. Für Sie als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies, dass Sie an Fortbildungen teilnehmen können, um Ihre eigenen digitalen Fähigkeiten zu stärken. Die Entwicklung von Konzepten für Aus- und Weiterbildungsangebote unterstützt Sie dabei, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und diese effektiv in Ihren Praxisalltag zu integrieren. Initiativen wie der Digital Innovation Hub West (DIH-West) bieten hier maßgeschneiderte Schulungen für diesen Bereich an.

Ausblick: Die Zukunft der Patientenversorgung

Die eHealth-Strategie legt den Grundstein für ein vernetztes und patientenzentriertes Gesundheitswesen. Durch die Nutzung digitaler Technologien können Behandlungen individueller gestaltet, Abläufe in der Ordination effizienter organisiert und die Patientenbindung vertieft werden. Neue Formen der Zusammenarbeit, etwa durch interdisziplinäre Netzwerke und digitale Plattformen, fördern den fachlichen Austausch und die kontinuierliche Weiterbildung. Die fortschreitende Digitalisierung bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihre Rolle als primäre Gesundheitsversorger zu stärken und die Qualität der Versorgung nachhaltig zu verbessern.

Fazit und Empfehlungen

Die eHealth-Strategie Österreichs bietet Ihnen erhebliche Chancen, Ihre Praxis für die Zukunft zu rüsten und die Versorgungsqualität zu steigern. Um die Potenziale optimal zu nutzen, sind folgende Schritte empfehlenswert:

  • Entwicklungen von ELGA mitverfolgen: Aktuelle Informationen und Neuerungen können unter www.elga.gv.at bzw. auch https://www.gesundheit.gv.at/ abgerufen werden. Ein regelmäßiger Überblick hilft, die erweiterten Funktionen effektiv in Ihren Praxisalltag zu integrieren.
  • Potenziale von Gesundheitsapps erkennen: Gesundheitsapps (auch DiGA, Digitale Gesundheits-Anwendungen genannt) werden zukünftig einen starken Einfluss auf das Gesundheitswesen haben. Sie bieten vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung Ihrer Patientinnen und Patienten – sei es durch Monitoring-Apps zur Überwachung von Vitalparametern, Ernährungs-Coaching-Apps oder Anwendungen für das Selbstmanagement chronischer Erkrankungen. Aktuell gibt es DiGA auf Rezept in Österreich noch nicht, es wird aber daran gearbeitet. Indem Sie die politischen Entwicklungen und Regularien beobachten, können Sie geeignete Anwendungen identifizieren und in Ihrer Praxis einsetzen, um die Versorgung weiter zu verbessern.
  • Künstliche Intelligenz ausprobieren: Testen Sie KI-Anwendungen (z.B. ChatGPT) – der Zugang ist häufig sehr niedrigschwellig, sodass Sie den Nutzen für Ihre Praxis evaluieren können. Seien Sie jedoch vorsichtig und vermeiden Sie es, unbeabsichtigt Patientendaten in ein KI-System einzugeben, da dies Datenschutzprobleme verursachen kann. Durch das Ausprobieren gewinnen Sie ein besseres Verständnis der Technologie und ihrer möglichen Einsatzbereiche.
  • Allgemeines Wissen im Bereich IT-Sicherheit aneignen: Grundlegende Kenntnisse in IT-Sicherheit sind essenziell, um Ihre Praxis und Patientendaten zu schützen. Seien Sie sich Ihrer Verantwortung in der Ordination bewusst und informieren Sie sich über allgemeine Sicherheitsaspekte. Fortbildungsangebote, beispielsweise vom DIH-West, können dabei unterstützen, sich gegen digitale Bedrohungen zu wappnen und ein grundlegendes Verständnis für die IT-Sicherheit in der Ordination zu bekommen.
  • Frühzeitiger Kontakt bei Interesse und regionale Entwicklungen verfolgen: Bei Fragen oder Interesse an digitalen Technologien lohnt es sich, Kontakt mit Universitäten oder Institutionen wie dem Digital Innovation Hub West (DIH-West) www.dih-west.at aufzunehmen. Bleiben Sie zudem über digitale Initiativen und Projekte in Ihrer Region auf dem Laufenden, beispielsweise über www.digital.tirol . Durch den Besuch von Veranstaltungen und Netzwerktreffen können Sie wertvolle Kontakte knüpfen und von lokalen Erfahrungen profitieren. So erkennen Sie aktuelle Trends frühzeitig und können sie gezielt in Ihrer Praxis umsetzen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein fortlaufender Prozess, der Ihnen vielfältige Möglichkeiten bietet, die Patientenversorgung zu verbessern und Ihren Praxisalltag zu erleichtern. Durch aktive Auseinandersetzung und kontinuierliche Weiterbildung können Sie diese Chancen optimal nutzen und Ihre Praxis zukunftssicher gestalten.

Bei Interesse oder Fragen zum Angebot des DIH-West für die niedergelassene Ärzteschaft können Sie sich gerne bei DI Dr. Marco Schweitzer (marco.schweitzer@umit-tirol.at) melden.

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